Tourauftakt von Phillip Boa and the Voodooclub in Celle: Besser als guter Whiskey

„Es gibt ja noch uns oder Phillip Boa. Wir sind noch älter und besser als je zuvor. Wir sind wie guter Whisky, viele Jahre gereift. Wieso dauert es so lange, bis Ihr begreift: Wir sind die besten“, stellten Die Ärzte auf ihrem Album „Jazz ist anders“ in aller Bescheidenheit fest.

Das war 2007.

Was sie damals nicht ahnen konnten: Dass Boa im Jahr 2018 in derartiger Bestform ist, wie man ihn  zur Zeit von Boaphenia kannte – und wovon 2007 nach Alben wie „The Red“, „C 90“ oder „Decadence and Isolation“ selbst Fans der ersten Stunde in kühnsten Träumen keinen Schimmer hatten. Fast könnte man auf die Idee kommen, dass der Mann, dessen bürgerlichen Namen Ernst Ulrich Figgen praktisch niemand kennt, fast zehn Jahre brauchte, um sich von seiner eigenen Vergangenheit zu emanzipieren – um sie mit der Gegenwart zu versöhnen. Vielleicht auch ein Stück mit sich selbst.

Denn wenn Boa in dieser Gegenwart nun eine Bühne betritt, dann tut er das nach eigenem Bekunden mit einem einzigen Ziel: nämlich, um sein Publikum für die kurze Zeit eines Konzerts glücklich zu machen. Er tut das mit jeder Menge Leidenschaft, Engagement und professionell trainierter Stimme. Aus seiner marionettenhaft-starren Gestik ist jede Arroganz gewichen. Stattdessen trägt der Freigeist und große Künstler Stolz und Selbstbewusstsein auf die Celler Bühne der CD Kaserne. Und bannt vom ersten Takt dieses Tourstarts sein Publikum: „Bells of Sweetness“, „Fine Art in Silver“, „Annie flies thy Lovebomber“ – spätestens beim dritten Song hat das Celler Publikum begriffen: Das geht so weiter.

Ein Schätzchen nach dem anderen holt der Altmeister aus seinem Repertoire, das inzwischen mehr als 450 Songs umfasst. „Get terminated“, „Fiesta“ (wie immer aus der Sicht des Stieres) und „Til the day we are both forgotten“ folgen und zielen genau in die Herzen der Fans, die längst zu einer munter, aber friedlich hüpfenden Masse vor der Bühne verschmolzen sind. Spätestens bei „Love on sale“ ist es Zeit für ein ausgedehntes Drumsolo, bevor die Kuschelnummer „Deep in Velvet“ eine kleine Verschnaufpause erlaubt. Doch Boa wäre nicht er selbst, würde er nicht gern provozieren. Zumindest noch ein bisschen. Und sei es durch Brüche, denn schon lässt es sich zu „Albert is a Headbanger“ ganz wunderbar die Mähne schütteln. Da greift der Sänger auch persönlich zum Bass.

Die Aura eines unantastbaren, coolen Gentlemans, die ist wohl auch noch da, wenn Boa im schwarzen Anzug routiniert die Saiten traktiert. Doch bei all dem weht auch eine Form von Dankbarkeit von dieser Bühne, eine Leichtigkeit, diesen zweiten Frühling in seiner mehr als 30-jährigen Bühnenpräsenz zu erleben. Er genießt diesen Erfolg sichtbar. Und feiert. Da fließt auch schon mal eine Woge Romantik durchs Publikum, bei Titeln wie „Standing blinded on the Rooftops“ oder dem nagelneuen Song „Cruising“ vom jüngsten Album „Eartly Powers“ – stilsicher gebrochen vom Titelsong des 2012-er Albums „Loyality“. Mit „Atlantic Claire“ und dem Kracher „A Crown for the Wonderboy“ verabschiedet sich der Meister nach einer Stunde und 15 Minuten schon von der Bühne. Vorerst.

Begleitet wird Boa an diesem Abend von der Singer-Songwriterin Vanessa Anne Redd. Über die Britin sagt Boa selbst, sie sei die beste Sängerin, die der Voodooclub je hatte. Und wirklich macht diese zarte, kleine Person einen überzeugenden Job, greift gelegentlich selbst zu Drumsticks, und ist stimmlich endlich keine Pia-Lund-Kopie, sondern macht mit jeder Menge Spaß souverän ihr Ding.  Trotz ihrer Präsenz macht sie dem Meister dessen Rang nicht streitig. Sie schafft es, den Voodooclub ohne Pia Lund endlich nicht mehr als Vehikel dastehen zu lassen. Allein deshalb mag man ihr wünschen, als festes Mitglied in den Voodooclub aufgenommen zu werden. Gemeinsam mit dem neuen Basser Thilo Ehrhardt funktioniert die Band wie ein Schweizer Uhrwerk: präzise und zuverlässig.

Gemeinsam macht sich die Band auf zu einer dreiviertelstündigen Zugabe: „I dedicate my soul to you“, „Diana“, „And than she kissed her“. Dem sonst eher für Zurückhaltung bekannte Celler Publikum rinnt längst der Tanzschweiß zwischen den Schulterblättern hinab, als Boa dann doch – das erste Mal an diesem Abend – eine Rotweinflasche ansetzt, um die Stimme zu ölen für „This is Michael“, und um sich zum großen Finale obligatorisch mit „Kill your Ideals“ zu verabschieden.

Er schüttelt von der Bühne herabgebückt noch viele Hände, verteilt Luftküsschen. Und geht mit einem Lächeln: „Danke“, sagt er sichtlich gerührt, bevor er endgültig die Bühne verlässt und seine Reise vom ersten Album Aristocracie (1986) bis Eartly Powers (2018) für diesen Abend beendet. Am 15. März spielen Phillip Boa and the Voodooclub ein weiteres Konzert im Capitol in Hannover. Dann, so verspricht er, mit mehr Songs vom neuen Album. Bis dahin muss der Whisky reichen, um die Erinnerungen an diesen grandiosen Abend zu konservieren. Manch einer zehrt davon wohl die nächsten zwei Jahre.

(np)