Bericht und Fotos vom WGT 2016
Was im Jahre 1992 mit ca 2.000 Besuchern seinen Anfang nahm, entwickelte sich im Laufe der vergangenen Jahre zu einem der größten Familientreffen der nationalen wie auch internationalen Wave- und Gothicszene. Das Wave-Gotik-Treffen (WGT) zieht nunmehr Jahr für Jahr tausende Anhänger der Gothicszene an und gehört neben dem M’era Luna zu den Highlights im jährlichen Festivalkalender.Sehen und gesehen werden lautet die Devise. Hierfür werden schon Monate vorher liebevoll Outfits entworfen, aufwändige Roben genäht und detailreicher Kopfschmuck gebastelt. Aber auch die Leipziger selbst, stellen sich jährlich zu Pfingsten auf die zahlreichen Dunkelromantiker ein. Hotels und Pensionen sind seit Monaten ausgebucht, Taxiunternehmen fahren Sonderschichten, der öffentliche Nahverkehr richtet extra eine WGT-Straßenbahnlinie ein, welche die Besucher an die verschiedenen Spielstätten bringt und der Einzelhandel verpasst seinen Auslagen und dem Sortiment ein monochromes Aussehen.
unten gibt es den Rest der Fotos…
Eines können die Anhänger der Szene mit Sicherheit, sie verstehen sich perfekt auf die Kunst des Kofferraumtetris. Während Nachbarn schon einmal die Frage in den Raum warfen, ob man denn umziehe, steht doch lediglich „nur“ der Besuch des WGT an. Vorfreude machte sich breit und je näher man dem sächsischen Leipzig kam, desto mehr fühlte man sich „Zuhause“. Vor dem AGRA-Gelände tummelten sich bereits die schwarzen Massen. Ein kurzer Stopp am Kartenschalter und schon zierte das Bändchen das Handgelenk und legitimierte für den Zutritt des Festivalgeländes.
Ob bequemlichkeitsliebender Pensions- und Hotelschläfer oder traditionsbewusster Festivalcamper, der Donnerstagabend stand im Zeichen großer Wiedersehensfreude. Freunde aus der ganzen Republik, ja aus der ganzen Welt trafen ein und ob der gut 21.000 Besucher – man fand sich. Der Treffpunkt, natürlich rund um die AGRA. Es wurde nicht nur gegessen und gemeinsam getrunken, sondern auch ein einmaliges Zusammengehörigkeitsgefühl zelebriert. Zudem ließ das breitgefächerte kulinarische Angebot keine Wünsche offen. Ob herzhaftes, vegetarisches oder süßes Leckermäulchen, mit Gewichtsverlust war hier wohl eher nicht zu rechnen.
Das erste Highlight des Festivals war das Neoromantische Picknick. Während die bisherigen Veranstalter des Viktorianischen Picknicks sich mit der Arena am Panometer in diesem Jahr eine privatere Atmosphäre suchten, um sich den immer aufdringlicher werdenden Besucher und Fotografen zu entziehen, zog es trotz allem zahlreiche Besucher in den Clara-Zetkin-Park. Hier fühlte man sich wiederum in eine andere Zeit versetzt. Die Parklandschaft wurde Schauplatz einer Modenschau der besonderen Art. Gemeinsam versammelte man sich zu einem romantischen Picknick in historischer Gewandung. Ob viktorianisch, Steampunk, Barock, Rokoko, elegante Lolita oder „Romantic Gothic“, der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
Die Mittelalter-Anhänger fanden sich zum Verweilen im heidnischen Dorf am Torhaus Dölitz zusammen. Immer gut besucht, bildeten sich vorm Eingang teils lange Schlangen. Gegen Abgabe einiger Silberlinge konnten sich auch Nichtfestivalbesucher Zugang verschaffen und den Tag in entspannter Atmosphäre genießen. An den vielen Marktständen wurden die unterschiedlichsten Waren feilgeboten, Schmaus- und Saufstände sicherten das leibliche Wohl und die Kinder konnten mit Pfeil und Bogen ihre Treffsicherheit üben oder an der Töpferscheibe ihre Geschicklichkeit testen. Patrick, der Bader lud zu einem reinigenden Bad in den Zuber ein. So manch Nackedei hüpfte dort schon einmal aus selbigem, um eindrucksvoll bei den heimlichen Fotografen den Spannertaler einzufordern.
Die musikalische Untermalung reichte von Minnegesang, über mittelalterliche Weisen bis hin zu krachenden Metalklängen. So boten die Spaßbarden Feuerschwanz den willigen Damen ihre testosteronüberschüssigen Qualitäten an, L.E.A.F hauchten alten nordischen Weisen neues Leben ein, Haggard animierten zum gemeinschaftlichen Headbangen und nach elf Jahren Abstinenz verzauberte Mila Mar, alias Anke Hachfeld, mit ihrem elfengleichen, kristallklaren Gesang.
Während man vor der AGRA das große Schaulaufen zelebrierte, ließ man sich in der Halle die Bässe um die Ohren knallen. Der Sound war zwar nicht immer der Beste, jedoch ließ sich davon keiner beirren. Es wurde getanzt, gesungen, geklatscht und vor allem eines, es wurde gemeinsam gefeiert. L’Ame Immortelle eröffneten den Reigen und die unvergleichliche Sonja Kraushofer entführte in das Reich der Melancholie. Am Blutengel Elektropop kam man in der Szene nicht vorbei. Man möge Chris Pohl lieben oder hassen, aber seinen Erfolg kann ihm niemand absprechen. Die Songs waren tanzbar und hatten Ohrwurmcharakter. Und so las sich auch das weitere Line Up der AGRA wie das Who is Who der Dunkelromantiker. Deine Lakaien entführten
in ihre 30-jährige Schaffensphase und mit der Eisbrechercrew und Kapitän Alex ging es weiter volle Kraft voraus. Auch begeisterten Goethes Erben. Mono Inc. hatten ihr neues Album im Gepäck und rockten die Bühne. Elektrofans kamen hingegen bei Front 242, Nachtmahr, Combichrist oder DAF auf ihre Kosten. Nicht nur die AGRA selbst bot ein breit gefächertes Konzertangebot. Nein, rund 220 Bands und Künstler traten an den unterschiedlichsten Spielstätten in ganz Leipzig auf. Bei den Überschneidungen der Auftritte war man gut beraten, wenn man sich vorher einen guten Ablaufplan zurechtstellte. Aber es war Festivalzeit und nichts machte dieses Wochenende wirklich planbar. So verpasste man schon einmal eine Band, weil gerade ein sehr interessanter Gesprächspartner gefunden wurde. Verweilte hier und da länger, da der Sound interessant klang oder scheiterte am Einlassstopp einer Location. Es galt einfach die Zeit mit alten Freunden und neuen Bekannten in einer einmaligen Atmosphäre und mit musikalischer Untermalung zu genießen.
Bandsfotos: Asynje Euzen DAF Eisbrecher Feuerschwanz Haggard L.E.A.F Metal Cambra Mila Mar Reliquiae Skaluna Blutengel
Nicht nur Musikbegeisterte kamen an diesem Wochenende auf ihre Kosten. So bot man auf dem Südfriedhof eine abendliche Fledermaus-Führung an oder tauchte mit der Kunsthistorikerin Dr. Anja Kretschmer in die Bestattungs- und Trauerkultur des 16. – 19. Jahrhunderts ein.
Im ehemaligen Sitz der Stasi-Bezirksverwaltung wandelte man auf den Spuren der Vergangenheit. Hier wurden in den Ausstellungen „STASI – Macht und Banalität“ und „Kinder der Nacht – unangepasst und überwacht“ die Strukturen und Arbeitsweise des Staatssicherheitsdienstes beleuchtet. Es wurde beobachtet, dokumentiert und ausspioniert, was nicht staatskonform war. Aber dank Internet, neuen Techniken, der Informationsflut in sozialen Netzwerken und der Überwachungswut der Politik haben sich zwar die Methoden geändert, wohl aber nicht der Drang die Bürger zu durchleuchten.
Kurzweil hingegen versprach der Vortrag von Deutschlands bekanntestem Kriminalbiologen Dr. Mark Benecke. Amüsant und bildlich brachte er dem geneigten Zuhörer das Verwesen von Leichen näher und erzählte, wie er das Rätsel der Mumien von Palermo löste. Auch die Oper stellte ein begrenztes Platzkontingent für Richard Wagners „Parsifal“ oder „Das Liebesverbot“ zur Verfügung. Natürlich war hier frühzeitiges Erscheinen Pflicht, um einen dieser begehrten Plätze ergattern zu können.
Ein Festival, welches Kunst, Kultur und Musik vereint. Die gegenseitige Akzeptanz der Leipziger und der Besucher war sprichwörtlich, was wiederum das WGT so facetten- und abwechslungsreich machte. Ein friedliches Miteinander, welches im Alltag oft vermisst wird. Im kommenden Jahr steht ein kleines Jubiläum an. Dann feiert das WGT sein 25-jähriges Bestehen.
Sandra Hofmann