Erstanden bei einem Online-Auktionshaus als LP und mühsam auf Kassette überspielt, um damit die wöchentlichen Autofahrten zum Studienort verkürzen: Das sind die Erinnerungen der Autorin an „Aristocracie“ von Phillip Boa, wohl um 1997. Da war das Album schon gut zehn Jahre alt. Heute können Autoradios MP3, Herr Boa hat seine musikalische Hommage an das Tonband als Album „C90“ ad acta gelegt – aber seine Liebe zum Vinyl hat er sich erhalten, wenn er beim Konzert in der CD-Kaserne am Freitag A- und B-Seiten des wieder aufgelegten Klassikers ankündigt. „For what bastards“, „Don’t put my whole live away“ oder „My sweet devil in the sky“: Die meisten der rund 300 Fans erinnern sich offenbar kaum an den Teil der Boa-Historie, die in neuem Gewand zu neuen Ehren kommt.
Als es Zeit wird für die besten der alten Zeiten, hatten sich der Meister und sein Voodooclub schon gut aufgewärmt. „Love on sale“, „Get terminated“, „Fine art in silver“: Mit diesen Klassikern betritt Boa die Celler Bühne. Eine kleine auffordernde Handbewegung in Richtung seiner Fans genügt, die ihm daraufhin die Hände entgegenstrecken und sich springend in Bewegung setzen. Und Boa springt mit. Der Mann, der in wenigen Tagen 53 Jahre alt wird. Seine wirren Stakkato-Bewegungen hat er nicht verlernt. Die schulterlangen Haare lassen selten einen Blick in seine Augen zu. Hin und wieder greift er selbst in die Saiten eines mintgrünen Bass‘. Annie flog den Love-Bomber noch nie mit so viel Drive. Boa läuft zu Bestform auf, wie man ihn selten erlebt hat. Auch wenn es angesichts der halbleeren Halle so scheint, als habe er die Zeiten hinter sich gelassen, in denen er Co-Headliner beim „Mer’a luna“ oder „Woodstage“ Massen zum Beben brachte. Vorbei ist aber auch die Zeit, in der „Arschloch! Arschloch!“-Rufe seine raren Moderationen unterbrochen haben. Die Celler Fans beben, tanzen. feiern. Und dort auf der Bühne steht ein gereifter, aufgeräumter Mann, der berührt lächelt, wenn er seiner Band dankt, „die heute Abend wie ein Uhrwerk spielt“ – und der vor Energie und Spielfreude fast platzt.
Doch Pia Lund fehlt. Wirklich? Die neue Sängerin Pris ist optisch so ziemlich genau das Gegenteil des blonden Girlie-Stimmchens. Akustisch dagegen hält sie sich einigermaßen an ihre Vorgängerin und kommt im Laufe des Abends stimmlich doch sehr viel souveräner daher. Sie scheitert nur an Pias Flötentönen bei „Diana“, dem Song, den Boa den Bonus-Track von „Aristocracie“ ankündigt. Da muss für die höheren Tonlagen ein Playback des Originals herhalten.
„Boy Scout“ nutzen die Drummer Toett und Moses Pellberg für eine fulminante Solosession, damit Herr Boa danach den wohl bekanntesten Song des remasterten Albums ankündigt: „I dedicate my soul to you“. Dem folgt noch ein Gang in Richtung des jüngsten Studioalbums „Bleach House“: „Standing blindet on the rooftops“ entpuppt sich live als romantisch-melancholische Kuschelnummer, mit der Herr Boa seine Fans in den Abend entlassen möchte.
Doch die lassen ihr Idol aber nicht eher von der Bühne, bis er nicht seine Schatzkiste vollständig ausgepackt hat: „This is Michael“, „Albert is a headbanger“, „Container love“ und „Than she kissed her“ sind die Standards, die in keinem Konzert fehlen – und von den Fans textsicher begleitet werden. Mit einem Donnergrollen zelebriert der Meister seinen Abschied: „Kill your ideals“ scheppert als Höllengewitter durch den milden Dezemberabend.
(km)