Unspektakulärer Abgang nach spektakulärer Show
Exakt 90 Minuten. Um 21.30 Uhr am Sonntag ist Schluss. Auf einer Leinwand im großen Saal in der Celler CD-Kaserne tanzen übermenschengroß Szenen aus Fritz Langs monumentalem Stummfilmklassiker „Metropolis“. Aus den Lautsprechern hämmern die Bässe zu „Sleeper in Metropolis“ – und Sängerin Anne Clark verlässt mitten im wohl bekanntesten Song ihrer 36-jährigen Karriere mit einem Anflug eines Lächelns und kurz winkend die Bühne. Ihr Kompagnon und stiller Konterpart – Musiker und Produzent herrB – hält noch einige Augenblicke durch, bevor auch er wortlos die Bühne verlässt.
Dass die unscheinbare, zierliche britische Ausnahmekünstlerin Generationen von Musikern der Elektro-Szene beeinflusst hat, wissen geneigte Fans. An einer großartigen Selbstinszenierung angesichts der Abschiedstour der Ausnahmekünstlerin mag das Celler Publikum das nicht ablesen können. Denn: Es gibt sie schlichtweg nicht. Stattdessen bietet Anne Clark den rund 270 Zuhörern eine außergewöhnliche Lichtshow zu ihren poetischen Texten, die auf sphärische Klangteppiche drapiert sind: Mal rotiert ein Vollmond zu Stroboskoplicht auf den Leinwänden, dann wieder wird die Bühne zu einer Bibliothek voll alter Schinken, in der das Duo agiert, als sei es in ein Gemälde hineinprojiziert. Am Ende wallen blaue Laserwellen über die Köpfe des Publikums hinweg und bilden übergalaktische Gebirgslandschaften.
Bei all dem wirkt die Künstlerin, als hätte sie den Brecht‘schen Verfremdungseffekt par excellence mit Leben gefüllt: Sie tritt teilweise aus dem Scheinwerferlicht hinter der Performance zurück, schließt die Augen und genießt, als sei sie eher Zuschauer als Protagonistin des Geschehens.
Die Abschiedstour unter dem Titel „Wasted Wonderland“ ist Bühne für jede Menge neues Material, aber auch für Klassiker wie „Wallies“, „Full Moon“ oder „Psalm“, die teilweise derart neu abgemischt sind, dass sie nur noch anhand ihrer Hauptthemen oder der Texte erkennbar bleiben. Doch auch darin spiegelt sich die Genialität der Künstlerin: sich stets neu zu erfinden, um sich selbst treu zu bleiben. Immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen ihrer literarischen, sozial engagierten und gesellschaftskritischen Texte. Jetzt hat die Suche offenbar ein Ende. Leider.
(km)