Ex-Marillion-Frontmann Fish am 24. April zu Gast im Pavillon Hannover
Es ist das letzte Konzert eines 57-jährigen Mannes. Nicht, dass Derek William Dick alias Fish etwa ans Aufhören denkt. Der Auftritt im Pavillon Hannover fand schlicht einen Tag vor seinem Geburtstag statt.
Und da steht nun eine Legende auf der Bühne? Kahlköpfig, weißbärtig, bierbäuchig. Ein schwarzes Shirt reicht knapp bis zum Hosenbund. Die dünnen Beine stecken in einer schwarzen Hose, die in Turnschuhen enden. Um den Hals hängt ein Schal, der im Laufe des Abends wahlweise auch als Handtuch oder Hischab dient.
Bekannt wurde dieser Mann als Frontmann der britischen Rockgruppe Marillion, zu der er bis 1988 gehörte – und von deren Ruhm er bis heute zehrt. Die 1988 begonnene Solokarriere verlief schwierig. Ein Spiegel dazu war das Set für Hannover, das im Grunde aus drei Teilen bestand: Mit ganzen fünf Songs seines solistischen Schaffens bestritt Fish knapp das erste Drittel des Abends, unter anderem mit dem Titelsong seines jüngsten Albums „A Feast of Consequences“, dem Werk, dem Fans bescheinigen, dass Fish endlich zurückgefunden habe zu seinen Wurzeln. Auftakt des Abends bildete jedoch „Pipeline“, ein Song der Kompilation „Yin“ und „Yang“ aus dem Jahr 1995. Mit „Long cold day“ wanderte er zum Album „Fellini Days“ aus dem Jahr 2001, um sich dann dem „Family Business“ und „A perception of Johnny Punter“ zu widmen. Auf einer Leinwand vermischen sich Phantasielandschaften mit Aufnahmen des Sängers auf der Bühne, der mit diesem Auftakt mal einen einen kleinen Rundumschlag aus rund 20 Jahren Solokarriere liefert.
Das alles ist musikalisch keineswegs zu verachten. Das Publikum lauschte andächtig einer perfekt funktionierenden Band großartiger Musiker, die ihr Handwerk verstehen. Die Band zelebriert jeden Ton, genießt still Spielfreude und Harmonie. Fish wird zum Geschichtenerzähler, kokettiert mit seinem hohen Alter, plauderte munter über Zipperlein in Knie und Rücken und wird nicht müde, über sich selbst, seinen Bierbauch und den kahlen Schädel zu lachen oder an Zeiten zu erinnern, in der man noch Landkarten statt TomToms benutzte, kein Handy hatte und „einfach mal ein Buch las“. „Das ist meine Zeit“, sagt er und lacht. Wenig später erinnert er dagegen an all die Opfer jüngster Terroranschläge von Ankara bis Istanbul und mahnt, dass doch die meisten Flüchtlinge gute Menschen seinen „wie Du und ich“ – während auf der Leinwand die Worte „Welcome to Hell“ prangen.
Man hätte bis hierhin das Konzert auch gut bestuhlt ausgehalten können, um sich gediegener Kunst und charmanter Unterhaltung hinzugeben.
Denn so richtig springt der Funke aufs Publikum erst im zweiten und letzten Drittel der Performance über. Dann nämlich, als auf der Setlist, eingerahmt in Versalien, die Zauberworte „Misplaced Childhood“ stehen: Das Album war 1985 die dritte Marillion-LP und ist bis heute das erfolgreichste. Und bei den ersten Tönen des Intros schwappt nun eine Welle echter Konzertstimmung über: Die bis dahin sitzenden Zuhörer erheben sich, als die ersten Töne von „Pseudo Silk Kimono“ erklingen und dann von „Kayleigh“ zu „Lavender“, von „Heart of Lothian“ zu „Childhood’s end“ wandern. Akt für Akt bearbeitet Fish sehr sorgfältig die einzelnen Kapitel des monumentalen Klassikers – besser, als es jemals auf ein Studioalbum passen würde, und dicht am Original, selbst 30 Jahre später. Mit einer Ausdauer und Perfektion, die vielen jungen Musikern heutzutage gut zu Gesicht stehen würden – und die nur diese Dinosaurier-Rocklegenden mitbringen, deren Werke so zeitlos, gigantisch und unsterblich sind.
Abgerundet wurde der Abend im letzten Drittel von zwei Zugaben: mit der Marillion-Debüt-EP „Market square heroes“ aus dem Jahr 1982 und „Company“ von Fishs erstem Soloalbum aus dem Jahr 1990. Dass viele Zuhörer offenbar während dieser Titel in Jugenderinnerungen schwelgten, liegt in der Natur der Sache. Doch sie haben von ihrem Idol einen wunderbar geistreichen, unterhaltsamen Abend mit musikalischem Hochgenuss geschenkt bekommen. Denn es stand eine Legende auf der Bühne.
(km)