Beyond The Black & Kissing‘ Dynamite

Letztes Strandkorb Open Air 2021 in Hamburg

Stell dir vor es ist Sommer, du sitzt im Strandkorb, neben dir steht die mit Bier gefüllte Kühltasche und von der Bühne vor dir bläst dir eine angenehme Brise Metal ins Gesicht. Was sich anhört wie das wohlverdiente Rentnerdasein von Metalfans wird dieses Jahr für viele Metalheads jeglicher Altersgruppen Wirklichkeit – und wie entspannt und trotzdem richtig metallike das sein kann, erlebt man am besten beim Strandkorb Open Air mit Beyond The Black und Kissin’ Dynamite in Hamburg.

 

Der wichtigste Punkt bei Veranstaltungen in Zeiten einer Pandemie ist die Organisation und dies klappt wunderbar beim Strandkorb Open Air. Die Plätze, die wie der Name vermuten lässt, Strandkörbe darstellen, sind in farbliche Bereiche aufgeteilt und auch die Einlassschlange wird nach diesen Bereichen aufgeteilt. Direktere Wege und die Aufteilung der Menge lassen das Anstehen viel schneller und angenehmer als sonst vergehen. Die Securities sind ebenfalls stets behilflich beim Platz finden, so dass kein Auflauf entsteht. Ebenfalls der Gang zur Toilette wird genau delegiert – ein reibungsloser Ablauf! Doch das Schönste ist die bereits gefüllte Kühltasche neben dem Strandkorb. Diese ist natürlich nur gefüllt, sofern man Getränke vorbestellt hat. Wer dies versäumt hat, kann problemlos online bestellen und bezahlen und bekommt die gewünschten Sachen direkt zum Strandkorb geliefert.

Diese Gemütlichkeit gewährleistet nicht nur die Sicherheit, sondern lässt sich Musikfans ganz langsam wieder an das Live-Geschehen gewöhnen. Denn über ein Jahr Durststrecke ließ sicher bei einigen das Stehvermögen und die Bierhebe-Muskeln etwas verkümmern.
Doch egal wie lange die Konzertpause war – oder vielleicht genau deswegen – die Energie der Menge elektrisiert fast die Luft. Die Vorfreude ist spürbar und sprüht fast Funken. Zum Glück erobern Kissin’ Dynamite überpünktlich um 18.55 Uhr das Rampenlicht der überdimensional hohen Bühne. Diese ist natürlich absichtlich so hoch, damit auch jeder etwas sehen kann. Denn der Zuschauer ist an seinen Strandkorb gebunden und darf zwar aufstehen, aber nicht unnötig umherspazieren. Lediglich die ersten Reihen verrenken sich etwas unnatürlich den Nacken, aber das kann man ja mit Headbangen wieder ausgleichen.

„I’ve Got The Fire“ ist der perfekte Song zum Auftakt und setzt gleich das Publikum unter Feuer. Der Bass dröhnt so laut entgegen, dass der Magen fast flau wird. Es scheint als müsse die Band alles nachholen, was liegen geblieben ist. Wer sie kennt weiß, dass Kissin’ Dynamite immer eine gute Show hinlegen, doch diese übertrifft alles schon beim ersten Song. Klarer Gesang, hochwertiger Rock, es ist einfach ein riesen Spaß für Augen und Ohren. Die gesamte Bühne wird genutzt, gepost und das Publikum animiert und es geht weiter mit „Somebody’s Gotta Do It“. Und auch Sänger Hannes testet mal was Gemütlichkeit bedeutet und setzt sich zu „Love Me, Hate Me“ an den Bühnenrand. Doch das hält er nicht lange durch und auch das Publikum hält es nicht länger in den Strandkörben. Auch die Gitarristen Ande, Jim und Bassist Steffen haben nichts verlernt und eröffnen „DNA“ mit einer Mini-Choreografie mit ihren Instrumenten.
Es ist erst die dritte Show der Band in diesem Jahr und Hannes zeigt sich sehr überwältigt wieder on Stage zu sein. Und dann ist es Zeit für ein 7-Tonnen-Happening: stolz präsentiert er das schwarze Klavier, das gerade angekarrt wird. Ob das Klavier jemals solche Höhen erblickt hat? Gefühlsduselig wird es mit „Heart Of Stone“, bei dem Hannes sich hinter das Klavier setzt und Ande weit vorn die Akustik Gitarre umhängt. Feuerzeuge wären nun angebracht, doch die Sonne strahlt noch mit voller Kraft vom blauen Himmel.

 

Zeit wieder Gas zu geben und Hannes schwingt eine schwarze Flagge mit den Band Initatlien zu „Waging War“ – diese scheint wie ein Segel zu funktionieren, denn er spurtet mit Vollgas von links nach rechts und wirft am Ende die Flagge gekonnt in die Bühnenmitte ohne dabei an Gesangsqualität einzubüßen. Und als hätte man nicht schon genug Entertainment gehabt, erscheint danach ein barocker silberner Armlehnstuhl auf der Bühne. Als Hannes mit rotem Umhang und Zepter erscheint wird klar, dass es sich um einen Thron handelt. Er leitet das Publikum an zu seinem Takt zu jubeln. Als er sich setzt, wird er von Gitarre und Bass flankiert. Natürlich heißt der Song „I Will Be King“, hat jemand etwas anderes erwartet?!

 

Die nächste kurze Pause nutzt Hannes für eine kleine Ansage und bezieht sich auf das Strandkorb Open Air in Augsburg,

bei dem Helge Schneider mit dem Konzept der Veranstaltung nicht klar kam und das Konzert abbrach: „Ich find Helge Schneider cool aber ich kann ihn nicht verstehen… Ich habe Spaß…!“ und auch das Publikum teilt die Freude und zeigen dies, indem zu „You’re Not Alone“ alle Hände hoch gehen und im Takt mit geklatscht wird.

Vor dem letzten Song des Abends begrüßt die Band ihren neuen Drummer Sebastian, der aus den vorderen Reihen leider nicht sehen ist, aufgrund der Bühnenhöhe. Doch dafür gibt es links und rechts der Bühne Bildschirme. Zu „You’re Not Alone“ wird nochmal alles gegeben, auch von Seiten des Publikums. Hannes positioniert sich auf zwischendurch in der Nebelfontäne und scheint davor wirklich etwas benebelt zu sein, denn kurz vor Ende verpasst er Bassist Steffen fast eine mit dem Mikroständer. Aber ging ja nochmal gut. Und auch die menschliche Pyramide mit Steffen, Ande und Hannes oben auf klappt noch.

 

Nach einer guten halben Stunde Umbauphase wird es um 20.25 Uhr Zeit für Beyond The Black. Rote Strahler und ein Glocken Intro kündigen die Band an während sich die Sonne hinter den Hafenkränen malerisch von Gelb zu Orange färbt. Frontfrau Jennifer erscheint im Lackoutfit, in dem sie auch das Albumcover zu Horizons schmückt. Erst nicht für alle sichtbar auf dem hinteren Podest stehend, startet sie gleich mit dem Ruf „Hamburg wir sind zurück!“ einen kurzen Spurt zum vorderen Podest. Ohne Kompromisse, brettern BTB mit dem zum Outfit passenden „Horizons“ los. Eine strahlende Jennifer liefert eine erstklassige Performance. Man kann nicht von vielen Bands behaupten, dass sie live um Längen besser sind als auf Platte, doch hier wird dies gleich beim ersten Song klar. Instrumental und vor allem gesanglich gibt es keine Zweifel und bei „Hysteria“ scheinen sie sich sogar noch zu steigern. Der Metal schallt von der Bühne während die Gastro Angestellten munter die Einkaufswagen mit den Getränkebestellungen von A nach B karren. Die Band harmoniert und hat Spaß, Jennifers Grübchen wollen vor Lachen gar nicht mehr verschwinden. Und auch dem Publikum steht die Freude ins Gesicht geschrieben.

Nach „Golden Pariahs“ ist es Zeit für eine kleine Animationseinlage. „Für den nächsten Song brauche ich all eure Stimmen. Nehmt das Handy. Ihr schreit so laut ihr könnt, macht ein Video davon und wer am lautesten schreit bekommt ein Shirt.“ Gitarrist Chris liefert das Gitarrenintro und auf Anweisung wird eifrig geschrien. Und auch die Möwen kreisen und kreischen freudig zu „Heart Of The Hurricane“ während die Aida links und rechts hinter der Bühne hervor ragt. Eine unglaubliche und auch surreale Kulisse.

Darauf verschwindet Jennifer kurz von der Bühne und der Gedanke, dass sie das Outfit wechselt bestätigt sich. Ist sicher auch heiß im Lackoutfit. Im atemberaubenden roten Ballkleid mit Krone und der Maske, die auf dem Backdrop prangt und aus dem Musikvideo stammt, erschallt „Human“. Die Maske ist am Mikro befestigt, so dass nichts den Gesang behindern kann.

Die Zeit ist zwar begrenzt an diesem Abend, doch die ein oder andere Ansage muss sein. Und so berichtet Jennifer von der Wette mit Wacken Open Air Gründer Thomas Jensen, die vor einigen Jahren lief und in der sie innerhalb von 48 Stunden vier akustische Coverversionen von verschiedenen Rock- und Metalsongs arrangieren und aufnehmen sollten. Es ist überflüssig zu sagen, dass BTB die Wette gewonnen haben – zu sehen sind die Ergebnisse auf Youtube. Zwei davon gibt es live. Mit der Querflöte bewaffnet startet Jennifer in den Sabaton Song „To Hell And Back“. Chris schnappt sich dazu eine Mini-Gitarre und spielt mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf dem kleinen Instrument. Als zweiten Coversong haben sich Beyond The Black Iron Maidens „The Trooper“ ausgesucht bei dem sich Multitalent Jennifer nun hinter das Keyboard setzt. Nicht mein Favorit aber trotzdem muss ich zugeben, dass es einwandfrei umgesetzt wird.

Die Bühne verwaist für ein paar Augenblicke nachdem der letzte Ton von Maiden verklungen ist, nur Jennifer bleibt am Keyboard und stimmt „Unbroken“ an. Und schon wieder wären Feuerzeuge angesagt, aber noch immer ist es zu hell. Doch der hellrot gefärbte Himmel sorgt für ausreichend Atmosphäre. Im Laufe des Songs verlässt Jennifer das Keyboard und kommt wieder nach vorne auf das Podest, wo alle sie sehen können.

Die Band ist wieder da, doch nun verschwindet Jennifer am Ende des Songs von der Bühne – was für ein Wechselspielchen… der Übergang zum nächsten Song gehört Chris, der vorne in lila Licht getaucht ein Soli spielt, bis die Dame des Gesangs sich neu gekleidet hat. Aller guten Outfits sind nun mal bekanntlich drei. Mit einem Bein auf dem Podest lässt sie zu „Written In Blood“ tief Einblicken. Aber das Kleid ist natürlich safe, denn es handelt sich um einen Body mit einem geteilten langen Rock darüber.

Es folgt noch einmal volle Metal Power mit stimmlicher Unterstützung von Chris und Tobias bei „Lost In Forever“. Langsam wird es nun doch dunkel und die Lichtshow kommt nun so richtig zur Geltung – da weiß jemand was er tut! Festival Feeling kommt auf und die Metal-Herzen bluten!

Als vorläufiger Abschluss darf der Hit „In The Shadows“ nicht fehlen. Hamburg kann nochmal mitsingen, der Mit-Gesang könnte aber lauter sein. Vielleicht sind auch die meisten bereits heiser, da kaum einer mehr die Stimmbänder trainieren konnte im vergangenen Jahr.

 

So verlassen Beyond The Black mit einem Knaller-Song die Bühne. Doch sie werden natürlich nicht ohne Zugabe entlassen. „Wollt ihr wirklich noch einen?…“ tönt die Frage aus den Lautsprechern „…Aber ich will euch springen sehen!“. Dieser Aufforderung kommt das Publikum nur zu gerne nach, auch wenn der Asphaltboden um einiges härter ist als der herkömmliche Festival-Ground. „Shine And Shade“ liefert die perfekte Spring-Vorlage. Doch noch ist genug Energie vorhanden und als wirklich letzter Song des Abends „Hallelujah“ kommen alle Bandmitglider außer Drummer Kai zum vorderen Podest und Posen für ihre Fans.

So neigt sich ein traumhafter Abend seinem Ende zu. Für ein paar Stunden konnte man dem pandemischen Alptraum entfliehen und normale Luft schnuppern. Hoffen wir, dass dies nur ein Auftakt zu mehr war, ohne natürlich das Risiko aus den Augen zu lassen. Es sollte mehr solch Konzepte geben, um die Kunst am Leben zu erhalten. Dass es funktioniert, konnte am Strandkorb Open Air einmal mehr bewiesen werden.

(Melanie Schupp)