Omega und Alpha: Heimspiel von „Mila Mar“ in einer alten, neuen Welt

Elfensex“  hat sie einst so richtig nach vorn gebracht. Dieses Album war der künstlerische Wurf ins neue Jahrtausend. Da gab es die Band „Mila Mar“ schon sechs Jahre. Und so fehlte sie Anfang der 2000er-Jahre auf keinem Festival, das für schwarze oder alternative Musik steht. Die Alben „Mila Mar“ und „Nova“ waren da bereits erschienen.

Gleichzeitig markierte dieses Werk zugleich Höhe- und Wendepunkt in der wechselhaften, definitiv nicht geradlinigen Bandgeschichte. Denn im Jahr 2004 war nach dem Album „Picnic on the Moon“ Schluss. Irgendwie. So richtig.

Aber nun… doch nicht so ganz. Denn seit einem Auftritt beim M’era Luna 2015 stehen die Gründungsmitglieder Anke Hachfeld, Katrin Beischer und Maaf Kirchner wieder gemeinsam als „Mila Mar“ auf der Bühne, verstärkt um Lars Watermann, der die Band bereits bei der Abschiedstour 2004 begleitet hatte.

Wer als Fan der Band das alles im Hinterkopf hat, fragt sich dann – elf Jahre später –, ob das alles heute noch funktionieren kann: Die Musik. Der Zeitgeist in ihr. Denn Geschmäcker ändern sich. Menschen entwickeln sich. Das ist der Lauf der Dinge.

Doch die Dinge laufen. Im Fall der neuen, alten Band sogar ganz hervorragend. Denn gleich zwei Konzerte gibt das Quartett am 16. und 17. Dezember in der Eisfabrik in der Südstadt Hannovers. Am Samstagabend bringen 120 Gäste den wohnzimmerartigen Veranstaltungsraum fast zum Platzen; ungleich weniger kuschlig geht es am Sonntag zu. Heimelig ist es drinnen – trotz der Kälte draußen. Für Frontfrau Anke Hachfeld ist es ein Heimspiel. Die Mitglieder der Band treffen ganz offensichtlich viele bekannte Gesichter wieder. Es liegt etwas Positives in der Luft.

Zuhörer lauschen sitzend, teilweise auf Matten und der Sängerin zu Füßen. Über eine Leinwand tanzen blinzelnde Augen. Wasserperlen klimpern wie ein Windspiel schwellen zu einer flimmernden Klangkollage im dunklen Raum an. Erwartungen und Spannungen steigen, drohen fast zu platzen, eine Wand voller Augen glotzt inzwischen auf die Zuhörerschaft, ein marionettenhafter Tänzer versucht das Flimmern zu fangen, bis sich endlich, endlich aus dem Zirpen und Surren Musik formt. Als die Scheinwerfer die Frontfrau treffen, leuchtet auch ein bisschen Erlösung dazwischen: Die glotzenden Augen machen Platz für comichafte Knochenmännchen.

Was aber viel bedeutsamer ist: Mila Mar sind wieder da. So richtig. Ein bisschen wie früher. Und doch… Anders. Das Mädchenhafte, die Verspieltheit der Frontfrau von einst sind Reife, Tiefe und  Ernsthaftigkeit gewichen. Das Quartett hat ohne Zweifel an musikalischer Qualität gewonnen. Das Zusammenspiel der Mitglieder funktioniert perfekt, aber authentisch, und fesselt vom ersten bis zum letzten Ton Zuhörer und Betrachter. Ja, auch Betrachter. Sich vorzustellen, die Musik zu Hause auf dem Sofa zu erleben? Da fehlt etwas. Denn da die

Phantasiesprache der Songs ohnehin keinen Aufschluss über deren Inhalte gibt, suchen sich ihre Emotionen einen anderen Weg der Kommunikation: Tanz, Mimik, Gestik, Körperspannung. Mit ihrer Vier-Oktaven-Stimme spielt die Frontfrau die gesamte Klaviatur dessen, was Phantasie einem Gesang mitgeben kann: Anke Hachfeld flirtet und flüstert, tänzelt barfuß zwischen Hypnose und Beschwörung, zwischen Verführung und Verzweiflung, während im Hintergrund Fliegerbomben die Welt zerstören, eine weite Straße durch karge Gebirgslandschaft bricht, Kinder scherenschnittartig in Zeitlupe an einem Kiesstrand tanzen.

Ihre drei Mitstreiter auf der Bühne tun währenddessen konzentriert ihre Job, ohne dass einer der drei Musiker besonders in den Vordergrund tritt. Mit großer Spielfreude zwar, aber auch mit beschiedener Zurückhaltung. Da wirkt es fast wie ein Ausbruch, als sich die beiden Herren der Runde zu einer Rhythmussession hinreißen lassen und das Bühnenlicht für einige Augenblicke ihnen gehört.

Gesprochen wird während der zwei Konzertstunden wenig. Gespielt wird vorzugsweise Altbekanntes, aber auch neue Songs wie „Asche“ oder „Haime“. Beides funktioniert. Klingt rund in einem harmonischen Ganzen. Hin und wieder haucht die Sängerin mit kindlichem Augenaufschlag ein schüchternes „Danke“ ins Mikro. Das ist fast alles, was an verbaler Kommunikation eine Brücke zwischen Band und Publikum baut. Doch trotzdem ist da viel mehr: Wieder und wieder sucht die Sängerin die Nähe zum Publikum, nimmt mit jedem Anwesenden Augenkontakt auf, um bald darauf wieder in den Tönen des Mila-Mar-Universums zu versinken.

Bleibt nach diesem Abend zu wünschen, dass dieses Universum ein weiterer kleiner Urknall ist für den Fortbestand des besonderen, kleinen Kosmos. Der existiert aktuell bewusst ohne Label, ohne Vertrieb und ohne Hamsterrad der Musikindustrie. Beste Voraussetzung dafür, einen neuen Weg zu gehen und sich dabei selbst treu zu bleiben. Mögen viele alte und neue Fans diesen begleiten.

(km)