Augen schließen! Fresse halten!

Schandmaul und Schandmäulchen am 5. Dezember im ausverkauften Pavillon in Hannover

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Erwachsene sind nicht zu alt für Märchen. Schon gar nicht, wenn sie sie daran erinnern, das Leben mitunter weniger ernst und stattdessen lieber kindlichen Frohsinn in den Alltag zu nehmen. Und erst recht nicht, wenn sie den großen Schandmäulern zum Warmlaufen dienen. Also den Schandmäulern selbst wie auch dem Publikum.

20151205_schandmaeulchen_04Zugegeben, etwas skeptisch ist der geneigte Zuhörer beim Gedanken daran, von einem Kinderhörspiel zu mittelalterlichem Folk-Rock hingeleitet zu werden. Doch wer die Schandmäuler kennt, weiß, dass sich jedes Konzert einer Generalprobe gleicht, bei der Frotzeleien und Lachen über eigene Fehler und Unzulänglichkeiten auf die muntere Tagesordnung einer Liveperformance gehören. Und nicht anders ist es, wenn die Handpuppe Schandmäulchen zusammen mit Kasperle, Pferd Bert und einer Hexe die Bühne betreten. Da verrutscht der Erzähler in der Zeile, liest Worte, die nicht im Manuskript stehen oder kommentiert ungefragt den Märchentext, so dass große und kleine Menschen im Publikum zum Auftakt genug Anlass zum Schmunzeln – und zum Mitsingen haben.

Eine gute halbe Stunde dauert das Märchen-Puppen-Spektakel und endet mit einem großen Fest – ganz so, wie fast drei Stunden später die Akustik-Performance der Schandmäuler in einer fulminanten Walpurgisnacht aufgeht.

20151205_schandmaul_06Da hatte die sechsköpfige Formation längst die schlabberigen T-Shirts gegen Anzug oder schwarzes Abendkleid getauscht, die hölzernen Kinderstühlchen der Handpuppen von der Bühne geräumt und  diese stattdessen mit fünf mehrarmigen Kerzenleuchtern dekoriert. „Wir werden heute Abend sehr viele schöne Lieder spielen, bei denen man am besten die Augen schließt – und einfach mal die Fresse hält“, kündigt Sänger Thomas Lindner der Erwachsenenwelt an. Wobei es zum Augenschließen eigentlich zu viel zum Gucken gab: Sphärische Lichtszenen, munter wechselnde Instrumentierung – und überhaupt: Was sagen all die Eltern im Publikum zu Phrasen wie „Fresse halten!“? Immerhin gibt es einige Kinder, die lange aufbleiben dürfen und das Konzert miterleben. Richtigerweise mit fettem Gehörschutz.

20151205_schandmaul_13Genau in diesem Alter hat der Schandmaul-Frontmann Hannover erlebt. „Die ersten zwölf“, wie er ergänzt. Und fragt: „Wisst Ihr, was das beste an Hannover ist?“ Lautes Lachen. An Hannover gibt es offenbar wenig Löbliches. „Die Sprache“, hilft der Frontmann. „Jeder versteht mich, egal, wo ich Musik mache.“ Und ist mitten drin in den sympathischen Plaudereien mit dem Publikum. Mal muss ein Zimmermann auf der Walz erklären, welche Geschichte eigentlich hinter den Schlaghosen steckt. Dann wiederum ortet Birgit Muggenthaler ein Schaf im Publikum: eine Frau, die ihrer Meinung nach lacht wie ein Schaf. Später am Abend bekommt das Schaf den Namen Yve – und die Aufgabe, sich nach dem Konzert bei der Flötistin einzufinden, um das Lachen als Handy-Klingelton aufzunehmen. „Juhu, nie wieder schlechte Laune“, flötet die Dame rechtsaußen auf der Bühne.

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„Wir werden jetzt ernst“, kündigt dann irgendwann der Frontmann an. „Nein!“, protestiert es aus dem Publikum. „Doch“, widerspricht der Frontmann. Und inmitten dieses Schlagabtauschs gibt es auch noch irgendwie Musik. Wunderbare Akustik-Sessions, deren Auftakt „Herren der Winde“ ist, gefolgt von „Drachentöter“ und „Auf hoher See“. Wieder und wieder hält es das Publikum kaum auf den Stühlen. Dann wieder beginnen die Reihen zu schunkeln wie bei „Goldene Kette“,  lauschen andächtig den Instrumentalstücken oder schmelzen dahin bei „Sonnenstrahl“. Selbsternannte „tragische Blöcke“ wechseln sich mit heiteren Passagen ab. Bald wieder flucht der Frontmann mitten in „Eine Waldmär“: „Scheiße, aus der Nummer kommen wir so nicht mehr raus.

20151205_schandmaul_16 Nochmal auf Anfang!“ Wir sind jetzt also lustig. Bei Songs, die die Band nur live auf der Bühne üben darf, um Fehler zu machen. „Dann lassen wir jetzt einfach den Refrain weg, wir haben getrödelt“, beschließt Linder schließlich den „Wandersmann“. Bald wieder ist der Bass verstimmt. „Wir konzentrieren uns. Das ist ein ernster Song.“ „Der Sumpf“, „Das Duell“: „Einmal mit Profis“, wünscht sich Birgit Muggenthaler. Es folgen – zur Freude des Publikums – „Traumtänzer“ und „Der Kaspar“. Bis, ja bis alle Menschen ohne Artrose, Rücken- oder Knieproblemen geschlossen von den Stühlen aufstehen dürfen. Dem Akt folgt eine ganz besondere Nacht: „Walpurgisnacht“. Knickstäbe leuchten. Feuerzeuge auch. „Das ist ja wie bei Helene Fischer.“ Zum Glück nicht. Auch wenn „Dein Anblick“ zur oberromantischen Kuschelnummer mutiert, die nur durch das Klicken der Feuerzeuge gestört und vom Licht der „Wischfernseher“ erhellt wird  – und nahtlos in die Zugaben übergeht. „Wir sparen uns den ganzen Firlefanz von wegen Klatschen und wiederkommen und so.“ Vom „Großen Wasser“ geht’s dann noch zu „Euch zum Geleit“ – und bald auf einen verzauberten, erheiterten Heimweg.

(km)