Wenn eine Druckwelle die nächste jagt!

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Es ist Winter. Aber eigentlich kocht die Luft, verdampft jede Schweißperle, bevor sie den Boden berührt. Die Saunameister sind an diesem 20. Oktober im Capitol von Hannover niemand anders als die Indie-Rocker von New Model Army. Die haben im Sommer ihr jüngstes Baby „Winter“ veröffentlicht, mit dem die Post Punker nach zwei Jahren Abstinenz auch deutsche Klubs wieder unsicher machen. Los geht’s zum Einstieg deshalb auch mit einer Auswahl vom Album wie „Burn the castle“, dem Titelsong „Winter“ oder „Part the Waters“.

2016-10-20_21-24-17_nma_dsc_3572Schlagzeuger Michael Dean trommelt sich im Laufe des Abends bei Evergreens wie „Wonderful Way To Go“ oder „Get me out“ Finger und Füße wund, Bassist Ceri Monger sekundiert mit zentnerschwerem Bass. Eine elektrische Geige oder auch eine Mundharmonika treten als zusätzliche Klangfarbentupfer auf – und mit ihnen Geigerin Shir-Ran Yinon.

2016-10-20_21-31-42_nma_dsc_3661Bemerkenswert ist, dass Frontmann Justin Sullivan trotz oder gerade seiner mehr als 35 Jahre Bühnenpräsenz und 60 Lenzen auf der Lebensuhr keine Spur von Müdigkeit zeigt. Längst vergessen scheinen die Zeiten, in denen er die „B-Seiten“ seiner Konzerte, auf einem Barhocker hinter seiner Akustik-Klampfe verschanzt, in Singer-Songwriter-Manier zum Besten gab. Was an diesem Abend über die Bühne prasselt, ist Rock vom Feinsten: Eine Druckwelle von den Drums macht nur Platz für die nächste. Neben den Songs der jüngsten Scheibe dürfen an so einem Abend Klassiker wie „Purity“ nicht fehlen. Ausflüge zum Vorgängeralbum „Between Dog and Wolf“ komplettierten mit „Stormclouds“ die Reise durch die wechselvolle Bandhistorie. Treu geblieben ist Sullivan auch an diesem Abend dem steten Wechsel zwischen theatralischen Balladen und tanzbaren Rockstücken, und immer dabei, für mehr Gerechtigkeit ein- und dem Bösen dieser Welt entgegenzutreten.

Zu Beginn ihrer Karriere war noch Margaret Thatcher englische Premierministerin – und auch heute noch sorgen die Briten für ausverkaufte Hallen, die in ihrer Heterogenität das Erfolgsgeheimnis der Band auf den Punkt bringen: Auf diese Horde aufrechter Recken können sich vom Britrockfreund über den Spätpunk bis zum metal-orientierten Nachwuchs-Headbanger Angehörige verschiedenster Genres einigen – und zwar aus gleich mehreren Generationen. So tanzen ganz offensichtlich Mütter mit ihren Töchtern vor der Bühne. Väter machen mit ihren Söhnen einen Männerabend, während New Model Army es mit ihrer politisch explizit linken Haltung ernst meinen und für eine charismatische Mischung aus Post-Punk, Folk- und Independent Rock stehen. Wie die klingt, daran erinnern fulminant „White Coats“ und „51st State“, jene schon 1989 beziehungsweise 1986 entstandenen Bandklassiker.  Hymnen, die auch knapp 30 Jahre nach ihrem Entstehen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben und ihre Wirkung im Capitol nicht verfehlen.

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Dort tummeln sich vom ersten Song an Herren mittleren Alters mit nacktem Oberkörper tanzend im Publikum. Nach und nach erklimmen traditionsgemäß die besonders hart gesottenen Fans die Schultern ihrer Konzertbegleiter. Derlei Rituale waren einst dem Song „Green and Grey“ vorbehalten. Doch ausgerechnet den gönnen die Briten ihren niedersächsischen Fans in ihrer zweistündigen Performance nicht. Egal. Die Ohren dröhnen hervorragend. Und das Herz ist erfüllt von einem kraftvollen Konzert. „Everything is beautiful“, hatte Sullivan irgendwann an diesem Abend gesungen. Recht hat er.

(km)