Am frühen Mittwochnachmittag erreicht mich über die sozialen Netzwerke die Nachricht, dass es Neuigkeiten zur Abendveranstaltung gibt. Meist ist das kein gutes Zeichen. Für diesen Abend wird verkündet: King Mami, die Vorband des heutigen Abends, wurde von der Grippe dahingerafft. Laing werden den Abend alleine bestreiten. Schade, hätte ich den Auftritt von Daniel Zillmann und Lucie van Org doch gerne erlebt. Aber gegen die fiesen Grippeviren kann man eben wenig machen.
Das Musikzentrum ist um 20 Uhr gut gefüllt, aber nicht überfüllt. Die versammelten Fans stehen nahezu gemütlich zusammen, warten gespannt und fotografieren munter das Bühnenbild. Der Name des neuen Albums „Fotogena“ der Berliner Band prangt in großen Neonlettern vor einem Vorhang aus silbernem Lametta. Davor findet sich ein einsames Schlagzeug und 3 Stehlampen-Mikrophon-Konstruktionen, die auf den ersten Blick etwas seltsam anmuten, aber im Laufe des Abends zu einem unerlässlichen Bühnenaccessoire werden.
Schlagzeuger Alexander betritt als Erster die Bühne. Mit Anklingen der ersten Töne betritt Johanna Marshall ebenfalls die Bühne, gefolgt von Josefine Werner. Als vorerst Letzte betritt Nicola Rost die Bühne und eröffnet mit „Camera“ den Abend musikalisch. Mit der passenden Choreografie zum Song bringen die drei ihr Publikum in die richtige Stimmung für den Abend und geben direkt zum Auftakt Anlass zum Schmunzeln, während sie den Zeitgeist gekonnt treffen und über den Selfie-Wahn sinnieren. Als dann auch das vierte Bandmitglied Marisa Akeny die Bühne betritt und eine eindrucksvolle Tanzperformance hinlegt, ist der Abend offiziell eröffnet.
„Nein“ ist der zweite Song des Abends und steht musikalisch und auch choreografisch der Eröffnungsnummer in nichts nach. Mit viel Witz, Charme und einem großen Zwinkern performen die Berlinerinnen die Geschichte rund um das Phänomen des „Mingle“-Daseins. Mit „Hoch ist die richtige Richtung“ bringen Laing die Sache danach auch ziemlich gut auf den Punkt: denn die Stimmung des Abends steigt mit jeder gesungenen Zeile. Die Fans im Publikum wippen und tanzen zu den Liedern und unterstützen die Band gesanglich, auch ich kann mich der Stimmung nicht verwehren.
Anschließend nehmen Laing das Publikum in Hannover mit auf eine bunte „Safari“ durch den Dating-Dschungel. Von Raubkatzen, Stinktieren und Kröten erzählen Nicola, Johanna und Josefine während sie sich über die Bühne bewegen. „Du bist dir nicht mehr sicher“ ist sicherlich einer der Höhepunkte des Abends. Gesanglich geben Laing bei diesem Song so viel Herzblut in ihre Stimmen, dass auch ich das Gefühl bekomme, Teil der besungenen Beziehungskiste zu sein. In ihren Songs spielt die Band um Songwriterin Nicola mit Klischees und spickt ihre intonierten Geschichten mit zuckersüßem Wortwitz und einer gehörigen Prise Pfeffer.
Sportlich wird es, nicht nur Dank der fast schon akrobatischen Einlage von Tänzerin Marisa, beim Song „Zeig deine Muskeln“. Mit Handtüchern bewaffnet werden die Fans im Musikzentrum Zeugen einer Aerobic-Einheit der musikalischen Art. Das Thema „Organspende“ greift Nicola im gleichnamigen Song auf und erklärt, dass es „schön ist, wenn man daran denkt, dass ein Teil von einem auch ohne eigenes Zutun noch weiterlebt und Gutes tut.“ Sie verweist auf den Stand der Organisation „Junge Helden“, die im Foyer mit Organspendeausweisen bereitstehen.
Während Marisa die Menge wieder mit einer ihrer eindrucksvollen Tanzdarbietungen in Atem hält und das Intro zu „Nieselregen“ spielt, findet ein Kostümwechsel der besonderen Art statt: Statt mit edlem Bühnenoutfit betreten die Sängerinnen im Friesennerz die Bühne und besingen ihre Liebe zu „Harmonien und Koffein“. Im Anschluss verlassen alle bis auf Schlagzeuger Alexander und Nicola die Bühne.
Songwriterin Nicola wirft den Regenmantel ab, enthüllt das kleine Schwarze und schwingt sich hinter das Keyboard. Sie bekennt sich dazu, ein Übungsmuffel zu sein, aber trotzdem ihr Bestes für den kommenden Teil zu geben: die vorherigen Shows scheinen Übung genug gewesen zu sein, denn „Puzzle“, „Dein, deiner, am deinsten“ und „Meine Sprache“ gelingen ihr fast fehlerfrei. Über die kleinen Fehler ärgert sich die Sängerin in ihrer sehr sympathischen Art und zieht damit das Publikum auf ihre Seite.
Zu „Wechsel die Beleuchtung“ gesellen sich auch ihre Bandkolleginnen wieder dazu. Gemeinsam liefern die drei eine perfekt getimte Choreografie und zeigen den Anwesenden, dass die Stehlampen-Konstruktionen eben nicht nur kuriose Mikrophonständer sind. Licht an, Licht aus, Licht an, Scheinwerfer ins Publikum und wieder retour – kleiner Aufwand, große Wirkung und ein weiterer Höhepunkt des Abends. So fließend der Übergang zu „Maschinell“ ist, so roboterhaft sind die Bewegungen zum Song. Alles passt, bei Laing wird nichts dem Zufall überlassen. Alle funktionieren auf den Punkt.
Nach „Unberechenbar“, „Paradies Naiv“ und „Pleite“ verabschieden sich die Musikerinnen von der Bühne. Aber natürlich nur für eine kurze Zeit. Sie kehren für die vom Publikum geforderte Zugabe noch einmal zurück in ihre Neon-Lametta-Kulisse. Bei ihrem Hit „Morgens immer müde“ heizen sie kurz vor dem Abschluss des Abends den Fans nochmal energiegeladen ein und die Menge zahlt es ebenso energiegeladen zurück.
Zum Abschied stoßen zum Heinz Erhardt-Klassiker „Immer wenn ich traurig bin“ Band und Zuschauer gemeinsam an. Ein tolles Ende für einen wirklich fulminanten Abend! Laing haben im Musikzentrum eine Show auf die Beine gestellt, die sowohl optisch als auch musikalisch für einen Abend sorgt, der den Zuschauern im Gedächtnis bleiben wird. Perfekt gestylt vom Haaransatz bis zu den Zehen, mit pfiffigen Choreografien und jeder Menge tanzbaren Songs, auf die Bühne gebracht mit einem verschmitzten Augenzwinkern, legt die Berliner Band definitiv die Basis für das Verlangen nach Mehr: Nach mehr kluger Pop-Poetik. Nach mehr Laing.
(VB)