Wer sich in Hannover am Samstagabend gegen Punk und für Rock entschied, der fand sich gemeinsam mit knapp 3.000 anderen Gleichgesinnten in der Swiss Life Hall wieder. Auf ihrer „Ewiges Eis“-Tour legte Eisbrecher natürlich auch einen Stopp in Hannover ein. Gedankt wurde es der Band mit dem bestbesuchten Konzert der Tour. Chapeau, Hannover!
Verwunderlich mutet es an, dass bei einem Konzert dessen Hauptact sich dem Rock verschworen hat, die Sitzplätze auf den Rängen besser gefüllt sind als die Stehplätze vor der Bühne. Wobei sich sicherlich niemand über etwas mehr Bewegungsfreiraum für wilde Spring- und Tanzeinlagen beschwert hat. Und trotzdem: was das Getümmel vor der Bühne angeht, wäre hier noch Luft nach oben gewesen.
Kurz nach 20 Uhr betritt Frontmann Alexx die Bühne und gibt ein eigens für die Vorband verfasstes Gedicht zum Besten – so poetisch und feinfühlig wurde wohl selten eine Band angekündigt. Das Publikum lauscht den Wesselsky’schen Versen über „Felder und FAELDER“ und begrüßt im Anschluss die Band um Sänger Kai Niemann.
Mit düsteren Melodien und melancholischen Texten präsentieren FAELDER die Songs ihres Debütalbums „Unheilbar“. Klanglich bewegen sich die Musiker dabei stark in den Sphären von Unheilig – der Einfluss vom ehemaligen Unheilig-Keyboarder Henning Verlage scheint nicht unerheblich zu sein. Niemann und seine Musiker machen ihre Sache, trotz kleinerer stimmlicher Aussetzer, ziemlich gut, und das Publikum dankt es der Band in Form von Jubel und Applaus. Den einen oder anderen neuen Supporter hat die Band mit Sicherheit am heutigen Abend dazugewonnen.
Nach der Umbauphase erklingen endlich die ersten Töne des Intros der „Ewiges Eis“-Tour und hinter dem Banner der Band, das den Bühnenaufbau verbirgt, beginnt die Show. Mit „Zwischen uns“ und „Der Wahnsinn“ eröffnen die fünf Musiker ihren Teil des Abends und geben direkt die Marschrichtung vor: es geht steil bergauf, sowohl lautstärke- als auch stimmungstechnisch gesehen. Die anwesenden Fans „brennen“ für die Band und lautstarke Fan-Chöre zelebrieren den Weltuntergang im Song „Phosphor“.
Die Show, die Eisbrecher und vor allem Sänger Alexx, hier auf die Bühne stellen, kann sich sehen lassen. Zwischen Lichteffekten und Rauchsäulen, Hits wie „Antikörper“, „Fehler machen Leute“ und dem bedrückenden „Augen unter Null“, gibt dieser immer wieder kurze und gewohnt spitze Kommentare und Anmoderationen zum Besten. So machen auch kleinere Umbau- und Song-Pausen durchaus Freude.
Eine dieser Umbauphasen läutet den Song „Amok“ ein: statt an ihren gewohnten Instrumenten finden sich die Musiker hinter Blechtonnen wieder, die im ersten Moment an die Inszenierungen der Blue Man Group erinnern. Aber nur im ersten Moment – denn mit den ersten Tönen des Songs verfliegt der Gedanken an die lustig-leichte Schlumpf-Truppe gleich wieder. Harte und aggressive Schläge treffen auf die Blechtonnen während Wesselsky sowohl stimmlich als auch gestikulierend eine scharfe Waffe nach der nächsten lädt und abfeuert.
Die Stimmung erreicht mit dieser Darbietung einen neuen Höhepunkt, die Temperatur in der Swiss Life Hall nähert sich dem Siedepunkt. Es ist drückend und schwül. Da kommt „Eiszeit“ gerade recht: Mit Schneemasken vermummt und in Wintermäntel eingepackt, performt die Band im künstlichen Schneeregen und sorgt so für eine zumindest gefühlte Erfrischung in der Halle.
Die Stimmung auf und vor der Bühne ist großartig und mitreißend. Wie man jetzt noch auf den Rängen sitzen kann: ein ungelöstes Mysterium für mich.
Fluchen kann so befreiend sein, müssen alle Anwesenden kollektiv während „Himmel, Arsch und Zwirn“ gedacht haben. Der Ausdruck des Fluchens mausert sich zum besten Publikums-Chors des Abends und wird später sogar zum Ersatz der standardmäßigen „Zugabe“-Rufe, daraus sollte sich definitiv eine neue charmante Band-Tradition entwickeln.
Auf „Herz aus Eis“ folgt ein Sound-Battle zwischen Noel Pixx und Achim Färber, dem „Sitz-Riesen und Steh-Zwerg“, wie Alexander Wesselsky beinahe liebevoll erklärt: Drums vs. Machine. Einen klaren Sieger gibt es nicht, beide stacheln sich gegenseitig zu musikalischen Höchstleistungen an und werden vom Publikum noch zusätzlich mit Applaus angefeuert.
Für „This ist Deutsch“ erhält die Bühne nochmal einen kleinen Umbau und während der Wartezeit gibt Alexx den Klassiker „Biene Maja“ von Karrell Gott gemeinsam mit den Fans zum Besten. Das erste Mal am Abend wirken diese nicht 100 % textsicher – aber das kann man an dieser Stelle sicherlich verzeihen. Mit langem Dust Coat, auf einem Podest stehend schmettert der Eisbrecher-Frontmann den Anwesenden dann die Eigenheiten des deutschen Volkes um die Ohren. Gestik und Mimik sind dabei perfekt einstudiert und erzielen auch dementsprechend eine Wirkung, die einen direkt aufrechter strammstehen lässt.
Nach einer kurzen Verschnaufpause und den bereits erwähnten Skandierungen von „Himmel, Arsch und Zwirn“ statt „Zugabe, Zugabe“, kommt die Band nochmal energiegeladen mit „Verrückt“ und „Was ist hier los“ auf die Bühne zurück. Zum Song „Miststück“ verlässt Alexx die Bühne und holt sich Unterstützung aus den ersten Reihen des Publikums: einen nach dem anderen lässt er vom Graben aus die Zeilen des Songs ins Mikrophon brüllen. Fluchen funktioniert auch hier wieder ohne Probleme, aber das hatten wir ja schon. Mit „Herzdieb“ und im Publikum verteilten Eisbären verabschiedet sich die Band dann endgültig von der Bühne.
(VB)