Die MPS-Saison ist vorbei, doch wer rastet der rostet! Also werden kurzerhand die Seesäcke gepackt und Versengold machen sich mit ihrem Album „Nordlicht“ auf eine Tour durch Deutschland, die Schweiz und Österreich.
Die Folk-Band aus und um Bremen hat natürlich Unterstützung dabei; Mr. Irish Bastard, eine Irish-Folk-Punk-Band aus dem nicht ganz so irischen Münster.
Die Zeichen stehen auf Sturm…ääh ziemlich gut, denn bereits im Vorfeld sind sieben Tourtermine und eine Zusatzshow restlos ausverkauft. So auch Hannover, wir schreiben den 01.11.2019 und die Schlange vor dem Einlass scheint kein Ende zu nehmen.
Das Capitol platzt aus allen Nähten und bereits vor der Show kommt man sich eher vor wie in einer gemischten Sauna.
Mr. Irish Bastard haben das Publikum beim ersten Ton schon voll im Griff, gestartet wird mit einem älteren Song und Klassiker „Forty Somethings Street“. Von 0 auf 100 ist eine riesige Party im Gange, der Energie die die Musiker auf der Bühne versprühen, kann sich keiner entziehen.
Sänger Mr. Irish Bastard hat auch gleich noch eine gute Idee: „Hier vorne im Graben ist keine Security!“ verrät er verschwörerisch. „Wir wollen mindestens einen Crowdsurfer sehen!“ Diesem Befehl wird natürlich eifrig und fleißig Folge geleistet, zum Leidwesen der ersten Reihen.
Dann wird es noch einmal ernst, denn „die Liebe ist vielschichtig, kompliziert und schwer zu verstehen.“ Es wird geschunkelt und hier und da ein Feuerzeug erhoben, „I Only Like You When I’m Drunk“ ist ein kleiner Ruhepol in der sonst so feierwütigen Setlist, den die Fans größtenteils alleine singen dürfen.
Zu „Soundtrack Of My Life“ wird auch ein bisschen Fankontakt gepflegt, Hatey Katey huscht flink durch das Publikum, soweit die Massen das erlauben jedenfalls. Crowdsurfend erreicht sie wieder den Rand der Bühne und zum Finale des Songs steht sie bereits zwischen ihren Musikerkollegen, als wäre nichts gewesen. Jetzt darf es auch vor der Bühne sportlich werden, zu „Darlinka (Darling Kalinka)“ sollte eigentlich das Tanzbein geschwungen werden. Da der Platz dazu allerdings bei weitem nicht reicht, wird auf Kniebeugen umgeschult. Flexibilität wird hier sehr groß geschrieben! Nach „I Hope They Sell Beer In Hell“ gibt es noch ein Abschlussfoto und dann wird auch schon ein Banner mit der Nordlicht-Flamme vor der Bühne hochgezogen und der Umbau sowie Ansturm auf die Theken beginnt.
Als das Banner in rotes Licht getaucht wird und das Nordlicht-Intro erklingt wird es kurz ganz ruhig im Saal, bevor der vorfreudige Jubel und Applaus losbricht. Zu den ballernden Drums von „Durch den Sturm“ fällt der Vorhang und den Herren von Versengold steht die Freude dick ins Gesicht geschrieben. Dann folgt eine musikalische Zusammenfassung der letzten 16 Jahre Bandgeschichte. „Niemals sang- und klanglos“ zündet im
Publikum ebenso wie die Kanonen mit den goldenen Luftschlangen. Nach diesem brachialen Einstieg braucht es erst mal eine Atempause, die Temperatur steht schlagartig wieder auf Sahara. Sänger Malte erzählt derweil, wie er sich durch dicke Märchenbücher und staubige Stadtarchive gewälzt hat, um ein paar Geschichten aus dem Norden auszugraben. Gestoßen ist er dabei auf allerhand, zum Beispiel auf das Teufelsmoor und den roten Gerd. Lachend gibt Malte zu, dass die Versengold– Version weniger mit der historischen Persönlichkeit und mehr mit einer Flasche Schnaps und einem geselligen Abend zu tun hat. Das stört allerdings niemanden, feiern lässt sich zu „De rode Gerd“ auch mit historischen Ungenauigkeiten ganz hervorragend.
Das nächste Lied ist heute Abend ausnahmsweise nicht nur der Insel, sondern auch der Vorband gewidmet, die im Zuge dessen noch einmal riesigen Beifall erntet. “Verliebt in eine Insel“ ist im wahrsten Sinne des Wortes zum Durchdrehen, Eike und Florian drehen sich so lange mit ihren Instrumenten im Kreis, dass man schon Angst haben muss, einer der Musiker fällt von der Bühne.
Nach einem tosenden Applaus berichtet Malte wieder von seiner Recherche-Fleißarbeit. „Wenn man sich mit der Geschichte des Nordens beschäftigt, kommt man nicht um Sturmfluten herum.“ Er erzählt sehr emotional von Zeitungsartikeln und Augenzeugenberichten und auch im Publikum wird es ganz still. „Winterflut 1717“ ist die erste Ballade des Sets und man merkt, wie nah allen im Saal der Text geht. Doch nun genug der Trübsal, mit „Teufelstanz“ es geht zurück ins Teufelsmoor und zu den Irrlichtern, die ahnungslose Wanderer ins Moor ziehen.
Natürlich haben die Bremer sich auch Gedanken darüber gemacht, wann die Welt entstanden ist und sind zu dem Schluss gekommen, es muss „Der Tag, an dem die Götter sich betranken“ gewesen sein. Also eine ähnliche Grundlage wie bei den meisten Versengold-Liedern allgemein. Ein riesiger aufblasbarer Globus fliegt umher und auch einige Bierbecher, kann das Zufall sein?
Der nahtlose Übergang zu „Solange jemand Geige spielt“ wirkt etwas rabiat, aber auch auf diesem allerengsten Raum wird sich brav im Kreis gedreht und den Aufforderungen zum Klatschen und Springen brav Folge geleistet.
Malte nutzt eine kurze Pause und erzählt schon mal ein bisschen von der kommenden Nacht der Balladen -Tour, inklusive Gastsängerin und Streicher. Als kleinen Anreiz geben sie ein Stück zum Besten, um dass sie auf der Tour nicht herum kommen werden. Nicht zuletzt, weil es dem Sänger selbst sehr am Herzen liegt. „Haut‘ mir kein Stein“ und „Feuergeist“ entlocken hier und da ein paar Tränen. Nachvollziehbar bei zwei so emotionalen Liedern.
Passend zum Datum darf natürlich auch „Samhain“ nicht fehlen, ein keltisches Fest und der Grundstein für Halloween. Anstelle der auferstandenen Toten tanzen heute die Fans und feiern so, als wär’s das allerletzte Mal.
Nun wird es allerdings etwas ernster. Malte kündigt „Meer aus Tränen“ an: „Viele Menschen werden in viel zu kleine Boote gestopft, um auf dem Mittelmeer vor Europa zu ertrinken! Wer sowas gutheißt, ist einfach nur ein riesengroßes Arschloch!“ Der darauf folgende überwältigende Applaus macht alle weiteren Worte überflüssig. Und auch mit dem nächsten Lied macht er auf die aktuelle politische Lage aufmerksam: „Der sogenannte Rechtsruck macht uns sehr viel Angst und wir können es nicht nachvollziehen. Jeder soll das glauben und fühlen, was er möchte.“
Eine klare und sehr wichtige Botschaft, verpackt in einem tanzbaren Song: „Wir tanzen nicht nach braunen Pfeifen!“
Nach einem nicht enden wollenden Beifall und Jubelrufen plaudert Malte wieder ein wenig aus dem Nähkästchen: „Der nun folgende Song hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel und er ist mein Lieblingssong, denn ich muss dabei eine Flasche Bier in der Hand halten.“ Die Suche auf der Bühne geht allerdings erfolglos aus und so hält er zum Entsetzen des Publikums eine Wasserflasche hoch. Die Buh-Rufe ist er nicht gewohnt. „In meinem Herzen geht es mir doch genauso, aber was soll man machen? Hoch die Krüge!“ (Und um alle Leser zu beruhigen, zur allgemeinen Erleichterung hatte während des Songs doch noch jemand ein Einsehen und Malte bekam sein Bier – Anmerkung der Verfasserin).
Als nächstes folgt noch ein Tipp, der auch beim schönsten Gelage beachtet werden sollte. Der Mahnfinger wird erhoben und „Thekenmädchen“ belehrt alle Anwesenden darüber, dass das nette Lächeln der Schankmaid nicht grundsätzlich etwas mit Zuneigung zu tun hat.
Dann muss der Rest der Band kurz ohne Sänger auskommen und so spielen sie einfach ihren eigenen „Thekentune“ – und haben sichtlich unfassbar Spaß dabei. Als die Formation wieder komplett ist lässt Flo sich ein bisschen durch die Menge tragen, ehe er an einer der hinteren Theken von Hatey Katey in Empfang genommen wird. Sogar seine Geige schafft den Weg unbeschadet. Er fordert die Fans auf, in die Hocke zu gehen und mit dem Knall der Luftschlangenkanonen springen alle wieder auf und es entsteht ein wahrer Hexenkessel.
Etwas ruhiger wird es nun wieder mit „Wohin wir auch gehen“. Dieses Lied ist allen gewidmet, die Teil der Versengold-Familie sind oder es noch werden wollen. Auf und vor der Bühne wird sich herzlich in den Arm und genommen und ein paar Feuerzeuge und Handylichter leuchten auf. Einer von vielen schönen, emotionalen Momenten des Konzerts.
Doch bevor es zum vorerst letzten Song des Abends kommt, fordert Eike sehr energisch dazu auf, dass jeder ein Kleidungsstück seiner Wahl ausziehen soll, um es über dem Kopf zu schwenken. Zur Feier des letzten Konzerts im Capitol, schließlich sei es ja selbstverständlich, dass wir den Laden heute gemeinsam abreißen würden. Dazu reicht es am Ende nicht ganz, aber während „Butter bei die Fische“ fliegen eine beachtliche Anzahl Kleidungsstücke durch den Raum und finden scheinbar neue Besitzer. Die Band verlässt glückselig die Bühne und sofort beginnen Zugabe-Rufe zu ertönen.
Erst einmal wird jetzt aber eine Theke aufgebaut, mit Bier und reichlich Schnaps. Dort versammeln sich die Versengold-Mitglieder und Malte verrät, dass sie dieses Lied eigentlich immer von einer normalen Theke aus singen, das Capitol dazu aber einfach viel zu voll ist. „Der Song wurde eigentlich eher aus Spaß geschrieben, ist dann aber doch einer der Lieblinge geworden. Sean und Alexander dürfen ihre Gesangskünste endlich unter Beweis stellen!“ Und das tun sie in der Tat! „Mach noch ne Runde“ wird sehr volltönend und männlich vorgetragen, vor allem das zwischenzeitliche Schnäpse trinken unterstreicht, wie hart das Leben eines Musikers so sein kann.
In alter Tradition folgt nun aber „Ich und ein Fass voller Wein“ als letztes Lied des Abends. Im Saal entsteht ein Sternenmeer aus Handylichtern und Malte „segelt“ auf einem kleinen Podest mit Steuerrad durch die tosende See aus Menschen. Jeder soll die Arme heben und bei seinem Nachbarn auf die Schultern legen, das trifft nach einer so tanzbaren und schweißtreibenden Setlist nicht bei allen auf pure Begeisterung.
Scheinbar haben Band und Publikum immer noch nicht genug, nach dem obligatorischen Tourfoto folgt noch ein „Weinfass-Tune“, in der Menge entsteht ein Mosh-Pit und auch auf der Bühne wird noch einmal richtig aufgedreht und die letzten Energiereserven sowie Luftschlangenkanonen verbraucht.
Mit ihrem berühmten „Abgesang“, wieder in Form des sehr talentierten Männerchors, beschließen Versengold diesen Konzertabend endgültig und ernten noch einmal wohlverdienten Applaus. Nach diesem Ausflug auf hohe See und an raue Küsten geht es verschwitzt und glücklich hinaus in die kalte Novembernacht. Da bleibt nur danke zu sagen, für diesen wunderbaren und abwechslungsreichen Konzertabend und sich auf die Nacht der Balladen-Tour zu freuen! Natürlich sind auch die restlichen Termine der Nordlicht-Tour immer eine Reise wert, Karten zu bekommen könnte allerdings schwierig werden.
(VS)