Erst heiß, dann kalt: Eisbrecher mit Gästen Unzucht und One I Cinema
„Volle Kraft voraus“, unter diesem Motto steht die aktuelle Mission der fünf Männer von Eisbrecher: Sie spielen sechs Konzerte in den bisher größten Hallen ihrer Bandgeschichte. Die Swiss Life Hall war am 19. März eine Station der sechs einzigen Indoor-Konzerte in diesem Jahr. Und dass, nachdem das Album „Die Hölle muss warten“ erst im Januar die 100.000er Marke geknackt hat. Das feiern die Eisbrecher während ihrer Mini-Tour und drücken allen Besuchern gratis als Dankeschön am Einlass einen goldenen Tonträger in die Hand – „Wir sind gold“ jubelt Frontmann Alex Wesselsky später am Abend auch auf der Bühne.
Den Kessel befeuert, das Getriebe geölt, die Kolben geschmiert: So präpariert, jagen die Münchner durchs klirrende Hannoveraner Polareis. Mit einer Show, die nach Bandangaben eine der aufwändigsten Live-Produktionen in der Geschichte der NDH-Formation ist. Bunt und effektvoll stechen Eisbrecher mit „Verrückt“ in See und starten mit ihrer Reise im Jahr 2012 und dem Album „Die Hölle muss warten“. Dem Opener folgt „Willkommen im Nichts“, ein Song, der vom ersten Album „Eisbrecher“ stammt. Und so schreitet Wesselsky während seiner gut zweistündigen Performance aufrecht durch das gesamte Repertoire der Formation, Seite an Seite mit Gründungsmitglied Jochen „Noel Pix“ Seibert. Stücke wie „Prototyp“, „Himmel, Arsch und Zwirn“, „So oder So“, „1000 Narben“ oder „Miststück“ hämmern sich in die Herzen der Hannoveraner Fans. Letzteres knallt deutlich mehr als bei Megaherz.
„Ihr habt heimlich geübt“, kommentiert Wesselsky die Textsicherheit seiner Fans. Ohne zu verpassen, auch den einen oder anderen Seitenhieb in Richtung der Niedersachsen auszuteilen: „Jedes Bundesland hat die Idioten, die es verdient“, witzelt der Frontmann. Und weiter: „Dank Euch schwimmen wir in Millionen. Ihr in Hannover seid das ja gewohnt und habt Euren Maschmeyer“, bekommt er wieder den Bogen zu „Wir sind gold“. Nach einer Umfrage im Publikum stellt er fest, dass Kinder in den Zuschauerreihen stehen. An sie gewandt philosophiert Wesselsky: „ Ich habe keine Ahnung, was Ihr mit den CDs macht, die es am Eingang gab. Ihr habt ja keine CD-Player mehr. Vielleicht könnt ihr sie Muttis Garten hängen und Vögel abschrecken oder so?“
Im Hintergrund legt sich Drummer Achim Färber richtig ins Zeug. Er prägte in den 1990-er Jahren Phillip Boas Voodooclub und stand vor dem Eintritt bei den Eisbrechern Pitchfork-Spilles und De/Vision zur Seite. Mit einem fetten Drumsolo fegt er zu fortgerückter Stunde mit einem Höllengewitter mal eben kurz die restliche Band von der Bühne.
Frontmann Alex wechselt während seiner Show gelegentlich sein Outfit – ihm assistiert die Leichtmatrosin Jenny – und verwandelt sich vom Schlipsträger zum Steuermann und umgekehrt. Gelegentlich witzelt er über seinen Konterpart von Unheilig – wohl wissend, dass Vergleiche zur charismatischen Person des Grafen sehr naheliegend sind, auch wenn sich die Band stilistisch eher am Joachim Witt der frühen 2000er-Jahre oder die brachialen Auswüchse von Till Lindemann anlehnt. Irgendwo dazwischen bahnt sich der Eisbrecher einen ganz eigenen Weg, der die Hannoveraner Fans so begeistert, dass sie noch eine fette Zugabe einfordern, in der dann endlich auch der Song erklingt, der der Minitour ihren Namen gab.
Mit „This is deutsch“, „Vergiss mein nicht“ und „Ohne Dich“ verlassen die Eisbrecher die Bühne, die zuvor das Unzucht-Quartett so richtig aufgeheizt hat. „Fette scheiße, ist das geil hier!“, ruft Frontmann Daniel „Der Schulz“ Schulz mehrfach ins Publikum, vor dem er herrlich posiert. Die 2009 in Hannover gegründete Band feierte quasi ein Heimspiel, das am 10. Dezember an der Leine fortgesetzt wird. Spätestens, als die Band Song Nummer drei „Zeit“ anstimmt, gerät das Publikum in der Swiss Life Hall in Bewegung. Das bekommt mit „Kettenhund“ einen Vorgeschmack auf Album Nummer vier – und ein Bad in der Menge.
Supportet wurden beide Bands an diesem Abend von den Durchstartern One I Cinema aus Osnabrück. Vor drei Jahren um Frontmann Marco Meyer gegründet, erringen die Jungs den einen oder anderen Achtungserfolg an diesem Abend und zücken alle Register des Alternative Rock, der von heftigen Downbeats mindestens ebenso oft erschüttert wird wie von Elementen des Old School Melodic Rock. Der Mittzwanziger Meyer spielt seit seinem vierten Lebensjahr Schlagzeug und wirkt wie eine jüngere Mischung aus HIM und Placebo. Er macht seine Sache gut. Noch beeindruckender ist nur die Wallemähne vom Bassgitarristen Ilja John Lappin. „Köln, habt Ihr Bock auf Eisbrecher?“, ruft er mehrfach ins Publikum. Kann ja mal passieren – nach drei von sechs Konzerten.
(km)