Alle Fotos sind von Carsten Brand / Brandlicht
Das Clubsterben in Deutschland ist ein wichtiges, aber sehr deprimierendes Thema. Also wird es Zeit, auch mal die Hoffnungsschimmer am Horizont zu erwähnen. In Braunschweig hat vor kurzem das frisch renovierte Westand eröffnet und als Band mit braunschweiger Wurzeln gibt es natürlich niemand besseren als Oomph!, um die Location mal einem Härtetest zu unterziehen. Und das sogar gleich zwei Mal hintereinander! Das eigentliche Konzert am 22.02. war so schnell ausverkauft, dass kurzerhand ein Zusatztermin für den 21.02. geschaffen wurde. Im Rahmen des Auftaktkonzerts der Ritual Tour haben Oomph! noch die tschechische Band Blitz Union mit dabei, ihres Zeichens eine Rockband mit vielen EDM- und Metaleinflüssen.
Obwohl die Band erst 2018 gegründet wurde wirken die Jungs auf der Bühne sehr selbstbewusst und professionell. Man merkt, wie viel Spaß sie haben und der Funke springt sofort über. Der erste Song „Revolution“ zeigt sehr gut, auf was das Konzept der Band abzielt. Aufrütteln, Aufmerksam machen und zum Handeln anregen. Songtitel wie „Money-crazy world“ und „Plastic“ sprechen für sich. Auch wenn kaum jemand im Saal die Band zu kennen scheint ist die Stimmung großartig und der Applaus überschwänglich. Die sehr tanzbaren Lieder in Verbindung mit der tieferen Bedeutung der Texte ergeben eine sehr schöne Mischung.
Sänger Mark liegt „Cyberbully“ besonders am Herzen: „To all the internet-heroes aka fuckers spreading hate around the world„. Er war selbst von Mobbing betroffen, allerdings noch vor den Zeiten des Internets und ist erschüttert, wie grausam Kinder und Jugendliche zu einander sind und die Sozialen Medien nutzen, um einander zu schaden.
Vor dem letzten Lied werden Papiermasken im Publikum verteilt, wer möchte kann sie sich für das Abschlussfoto aufsetzen und Teil der „Union“ werden.
Mit „Deleted“ reißen Blitz Union noch einmal so richtig die Hütte ab. Die Musiker springen wie elektrisiert über die Bühne, riesige Flaggen werden geschwungen und die Energie sprüht nur so Funken. Auch die Menge lässt sich mitreißen feiert was das Zeug hält. Alles in allem eine sehr eindrucksvolle Show und immerhin der erste Deutschlandauftritt der Band.
Nach einem kurzen Dank an Oomph! und das Publikum für das herzliche Willkommen ist leider auch schon wieder alles vorbei und der Umbau beginnt.
Alle Fotos sind von Carsten Brand / Brandlicht
Um 21 Uhr wird die Bühne in blaues Licht getaucht und der Jubel und die Pfiffe verraten, wie ungeduldig Oomph! von ihren Fans erwartet werden. Allerdings muss erst noch ein langes Intro abgewartet werden, bevor die Musiker sich auf die Bühne trauen.
Doch dann wird nicht lang gezögert und mit „Trrr-Fckn-Htlr“ gleich der erste Knaller gezündet. Von null auf hundert verwandelt sich die Halle in einen Hexenkessel, Sänger Dero marschiert wie ein Spielzeugsoldat über die Bühne und schneidet fleißig Grimassen. Nach einem begeisterten Zwischenapplaus stimmt Dero „We will rock you“ an und stiftet ein wenig Verwirrung, bis das Schlagzeug nahtlos in das Intro zu „Labyrinth“ übergeht. Natürlich gibt es auch jetzt kein Halten mehr im Publikum, es wird ordentlich gefeiert und getanzt. Zwei so tanzbare Lieder als „Kaltstart“ gleich an den Anfang der Setlist zu setzten ist gewagt, scheint die braunschweiger Fangemeinde aber nicht im Geringsten zu stören.
Nach einem nicht enden wollenden Applaus gibt es erst einmal eine Begrüßung: „Seid ihr gut drauf?“ Was für eine Frage! „Es ist sau schön wieder in der Heimat zu sein. Wir legen jetzt mal richtig los!“
Ach so, jetzt erst? Der nächste Klassiker steht in den Startlöchern, „Träumst du“ ist auch gleich die erste sportliche Herausforderung, denn natürlich muss gesprungen werden.
„Das nächste Lied ist eine Hymne an euch!“ verrät Dero und aus dem Publikum ertönt ein einzelnes „Jetzt oder nie„, welches jedoch mit einem „Streber!“ scherzhaft abgestraft wird. Hier und da geht einigen schon die Puste aus, Verschnaufpausen scheint es in diesem Set erst mal nicht zu geben. Aber wer könnte denn bei diesem Best-of-Rundumschlag stillstehen? Die Stimmung ist grandios und Band und Fans haben sichtlich Boc
k, diesen Tourauftakt ordentlich zu feiern.
Mit gestärktem Gemeinschaftsgefühl geht es dann in eine kleine Fragerunde. „Wer kennt unser erstes Album?“ Fast alle Hände gehen nach oben und es wird lautstark gejubelt. „Okay, wer ist vor ’89 geboren?“ Auch da heben sich einige Hände. Dero lacht: „Willkommen, ihr alten Säcke! Unsere Musik verbindet Generationen!“
Und wenn man schon mal beim Thema angekommen ist, werden auch gleich mal zwei Songs vom ersten Album „Oomph!“ ausgepackt (von 1992, falls sich jemand alt fühlen möchte). „Der neue Gott“ und „Mein Herz“ haben zwar schon ein paar Jahre auf dem Buckel, dennoch sind die Fans textsicher und sichtlich begeistert, auch diese Lieder mal wieder live hören zu können.
„Feiert euch selbst!“ kommandiert Dero, bevor er kurz die Bühne verlässt und die Band eine kleine instrumentale Einlage spielt. Als er zurückkehrt hat er zwei offene Wasserflaschen in den Händen, die er zielsicher ins Publikum gießt. Eine willkommene, wenn auch sehr überraschende Abkühlung, denn im Saal ist es inzwischen ziemlich warm geworden.
Es geht weiter mit der Nostalgie, „Weißes Licht“ von 1999 ist ein weiterer sehnlichst erwarteter Klassiker und heimliches Highlight des Abends.
Nun aber zurück in die Zukunft, während „Tausend Mann und ein Befehl“ vom aktuellen Album Ritual zeigt Dero mit Gesten sehr deutlich, wie wenig er von den Soldatenbefehlen hält. Zu „Niemand“ lässt er sich kurz von der Menge tragen und kommentiert: „Für mich war das fast schöner als Sex!“
Aber damit nicht genug: „Ihr wisst ja, dass wir euch lieben.“ Dem Applaus nach scheinbar schon. Er beschwichtigt die Fans, indem er einen Finger an die Lippen legt. „Trotzdem müsst ihr jetzt ganz stark sein, denn dies ist kein Liebeslied!“
Und trotzdem werden wir es lieben! Darauf kann eigentlich nur ein richtiges Liebeslied folgen. Und so ist es auch. Während „Auf Kurs“ werden einige Handylichter und Feuerzeuge erhoben und ein ruhiger Abschnitt beginnt, denn dann verlassen alle Musiker die Bühne, bis auf Dero und Keyboarder Felix. Sie spielen ein sehr zahmes, balladen- artiges Medley von „Seine Seele“ und „Das Schweigen der Lämmer„.
Zum Aufwachen wird jetzt erstmal das Vater unser aufgesagt, „Gott ist ein Popstar“ rüttelt die Menge wieder auf und es darf wieder getanzt und gefeiert werden. Scheinbar kommt jetzt der religiöse Teil der Setlist. Dero singt den Refrain von „Crucified“ von Army of Lovers, darauf kann natürlich nur „Gekreuzigt“ folgen und auch „Alles aus Liebe“ kann sich mit dem Stichwort Selbstgeißelung nahtlos einfügen. Dero muss zwischendurch ein Kompliment loswerden: „Ihr seid großartig! Wenn wir könnten, würden wir euch klonen!“ Dazu passt natürlich ganz wunderbar „Im Namen des Vaters„.
Von der Religion geht es über in die Gesellschaftskritik. Aber erst muss Dero sein Publikum noch etwas kennenlernen. „Wie viele Kerle sind heute eigentlich anwesend?“ Die etwas verhaltene Reaktion zeigt, wohl nicht so viele. Oder sehr schüchterne. „Mhm… Und wie viele Mädchen?“ Da geht sowohl der Lautstärkepegel als auch die Frequenz aber deutlich nach oben! Die weiblichen Fans sind in der Überzahl und Dero hat sichtlich Spaß, noch ein paar Mal abwechseln das zurückhaltende Brummen gegen ohrenbetäubendes Gekreische antreten zu lassen. Aber wir haben ja immerhin schon 2020, also bittet er schließlich: „Und jetzt die Diversen! Ihr seid alle herzlich Willkommen!“
Passend zum Thema folgt „Kleinstadtboy“ und zum Abschluss werden wieder Best-of-Songs ausgepackt, die niemals bei einem Oomph! Konzert fehlen dürfen. „Sandmann“ und „Augen auf!“ beschwören noch einmal alte Zeiten herauf und sind fast schon zu schade, um sie ans Ende der Setlist zu setzten. Es macht sich das Gefühl, da müsste noch irgendetwas kommen. Und das tut es ja zum Glück auch.
Nach den üblichen Zugabe-Spielchen erscheint die Band wieder auf die Bühne, doch bevor es weitergeht möchte Dero sich absichern: „Wollt ihr noch einen?“ Applaus und Jubelschreie brechen los. „Okay, wollt ihr noch zwei?“ Auch das wird lautstark bejaht. Er lacht „Puh.. Da haben wir wohl Glück gehabt.“
In schönster Gollum-Manier kündigt er das nächste Lied an. „Mein Schatz“ ist eine eher ungewöhnliche Zugabe, wird aber dennoch nicht weniger begeistert angenommen.
„Als wärs das letzte Mal“ ist für heute Abend wirklich das letzte Mal. Also, der letzte Song. Dennoch wirkt es so, als würden weder Band noch Fans das wirklich wahrhaben wollen. Der begeisterte und endlose Applaus spricht jedenfalls für sich und viele glückliche und verschwitzte Gesichter verlassen Location und Bühne. Wer schnell genug Tickets erwischt hat, kann diesem Spektakel am nächsten Abend gleich noch einmal beiwohnen, allen neugierig gewordenen und Wiederholungstätern bleiben noch die restlichen Termine der Tour, sich dieses grandiose Dauerfeuer selbst um die Ohren hauen zu lassen. Und es gibt ja auch noch ein neues Projekt mit Chris Harms, Sänger der Band Lord of the Lost und Dero, auf das man sehr gespannt sein kann…
(VS)